Baustelle Berlin

Es ist noch nicht lange her, am 1. August 2024, da war die Baustelle direkt vor meiner Tür in der Solmsstraße.
Jetzt ist sie gleichsam durch die Mauern nach innen gedrungen. Aber natürlich nicht die Baustelle, sondern das Wasser. Und das schon lange. Von der Straße her zieht das Mauerwerk Feuchtigkeit, sodass in den Souterrainwohnungen die Innenwände feucht werden.

Von außen ließ sich das nicht beheben. Zuviele Kabel liegen da vergraben. Heikle Netzwerke.
So konnte die Isolierung nur von Innen erfolgen. Alle Einbauten, die an den Wänden zur Straße hin angebracht waren, mussten entfernt werden. So auch die Treppe zur Sraße, ein Heizkörper und ein großer Spiegel.
Das passierte in meiner Abwesenheit. Glücklicherweise beaufsichtig von meiner Souterain-Nachbarin.
Wir sitzen ja gewissermaßen im selben „Haus-Boot“ das gegen Wasser von außen abgedichtet werden muss.
Am Sonntagabend, den 23.3.2025, bin ich erstmals wieder in meinem Souterrain-Atelier angekommen.
Ich wollte gleich wieder weg, so chaotisch und staubig wirkte alles.
Strandgut
Im Atelier-Raum lag ein Schrotthaufen, bestehend aus der auseinandergenommenen Treppe, abgeknickten Heizungsrohren und dem Heizkörper.
Oder ist das eine „Hidden-Art“ Kunstinstallation die unbekannte Künstler hier lagern?
„Strandgut“ könnte sie heißen. „Oder die Treppe des Fortschritts – im Zeitalter der Klimaerwärmung“.

Nach vielen Stunden reinigen hängte ich Bilder auf. Es war erstaunlich wie sie den Raum zum Klingen brachten. Damit konnte ich ihn wieder stimmen und darin arbeiten, und schreiben, wie dies hier.
Meine Baustelle birgt auch ein enormes Lernpotenzial. Das muss ich unbedingt zur Sprache bringen.
Die wichtigste Erkenntnis nach drei Tagen: ich räume nicht auf, mache nicht sauber, putze nicht weg, sondern lege behutsam die Ordnung wieder frei, die unter dem Chaos ruht.
Mit archäologischer Geduld und Neugier gehe ich da ans Werk. Ein Archäologe ist einer, der in den Bruchstücken seiner Ausgrabungen das Ganze ahnt und ehrt.
Dann werden die rein pragmatischen Dinge und Umstände irgendwie transparent, werden durchscheinend für die komplexere Wirklichkeit. Sie werden zum poetischen Gleichnis.
Das erfahre ich nicht nur als sinnvoll, sondern auch als befreiend und voller Anregungen.

Ich entwarf eine neue siebenstufige Treppe und lehnte die vielbetretenen alten Rauf-und-runter-Bretter an die Wand. Sie haben Patina. Jetzt wo sie sich vom Müllhaufen zum künstlerischen Fundgut metamorphiersierten regen sie die Fantasie an.
(In einem Müllhaufen ist kein Bewusstsein mehr. Die Ordnung hat sich daraus zurückgezogen. Die inneren Verbindungen und Bezüge lösen sich – durcheinander – auf. Das ist ein spanendes Phänomen, das auch bei Haushaltsauflösungen auftritt wenn der Wert einer Sache aus dieser Sache herausgezogen wird wie der Stecker aus der Steckdose. Wenn sie sich reduziert auf ein hinderliches Ding das weg kann, keine Heimat mehr findet im Interesse-Raum und Wahrnehmungs-Raum der Menschen. Das gilt auch für den Nachlass von Künstlern. Wenn das mit Herzblut geschaffene und mit Erwartungen geladene Werk zur Belastung für die Erben wird die sich dafür nicht mehr interessieren, und es auf dem Markt keine Käufer findet.)
Neue Termine
Jedenfalls kann momentan niemand über diese Treppe in mein Atelier gelangen.
Meine geplanten und bereits angekündigten Atelieröffnungen musste ich leider vorerst absagen.

Sobald die neue Treppe da ist werde ich mein Berliner KUNST KLOSTER Labor wieder zugänglich machen. Wann das sein wird kann ich nicht abschätzen, denn die Berliner Baustellen haben, so scheint es, eines gemeinsam: sie werden – zum Glück – durch Zufall fertig. Wobei ich mir für die Treppe auf keinen Fall irgend eine Art des Falls wünsche, keinen Zufall und keinen Abfall, und schon gar keinen Reinfall. Als einziger Ausnahme-Fall gilt der Einfall zur Konstruktion.
Es soll eine solide, neue siebenstufige, auch symbolstabile Treppe werden.
Eine die das Sein mit dem Werden verbindet.
Eine die herabführt und wieder hinauf, herein und heraus.
Eine die hält, ohne was zu versprechen.
Der große Spiegel, der entfernt werden musste barg ein Geheimnis.
Hinter ihm zeigte sich ein kleines Fenster nach Nirgendwo.
Dahinter ist eine Mauer. Ein Fenster also das nur hereinschaut?
Auch das eine poetische Sprache die sich in der Wirklichkeit versteckt.

