das ZeitLOS

„Die Kunst gibt nicht das Sichtbare wieder sondern macht sichtbar.“(Paul Klee)

Immer wieder höre ich: „die Zeit rast“. Doch ich habe den Eindruck sie kommt nicht mehr mit. 

Kaum schreibe ich eine Newsletter, oder lade ein update herunter, schon ist es gewesen, schon ist es veraltet.

Die Zeit rast nicht, sie wird immer älter, langsamer, und versucht manchmal mit einem elektronisch angetriebenen Rollator hinterherzukommen. Auch die aktuellen Nachrichten: was bringen sie? Explosive Stagnationen auf allen Ebenen. Es geht nicht wirklich voran. Der Stillstand der immer rasender (Virillio) um sich selber kreiselt, wird mit sich beschleunigender Zeit verwechselt. Gelassen bleiben dagegen die Jahreszeiten. Zuverlässig muss ich die Winterreifen aufmontieren. 

Wenn ich vor einer Quitte sitze um sie zu malen, und mir der Satz vom verehrten Paul Klee „Die Kunst gibt nicht das Sichtbare wieder, sondern macht sichtbar“ in den Sinn kommt, dann würde ich das gerne mit ihm heute besprechen.
Was sehen wir denn (wirklich) vom Sichtbaren? Sehen wir nicht bloß unsere Projektionen die wir für Wirklichkeit halten und die wir eben durch unsere Projektion zur Wirklichkeit machen?. Denn jede Projektion ist auch eine Suggestion, eine Deutung die erzeugt was sie deutet. Werbeleute, PR-Spezialisten und Propaganda-Agenten wissen das und schaffen damit so die von ihnen gewünschte Wirklichkeit. 

Also lieber Paul: was sehe ich denn, wenn ich das Sichtbare betrachte? Doch nur meine Deutung davon. „Du gleichst dem Geist den du begreifst, nicht mir“. sagte der Erdgeist zu Goethes Faust, der sich mit diesem auf eine Stufe zu stellen wagte.

Natürlich weiß ich was Klee meinte, und natürlich hatte er in seiner Zeit, als ein geistloser Naturalismus dominierte, völlig recht damit. Aber heute?

Die Quitte fotografiere ich. Gern. Also warum dann auch noch malen? Klar kann ich sie ins Abstrakte verflüchtigen, kann sie ins Monochrome auflösen, in spielerische Varianten von Gelbfeldern und braunen Zeichen übersetzen, markante Ausschnitte bestimmen und mit ihrer Substanz malen. Mach ich alles und auch mit Freude. Doch das was ich vor Augen sehe, eben das Sichtbare, toppt all das. Diese goldgelbe Frucht. Sehe ich sie denn? Was ist denn das Sichtbare? Ich aktualisiere den Paul-Klee-Satz für mich und schreibe: Die Kunst erst macht das Sichtbare sichtbar.

Achwasolls. Ich muss mich da ja nicht argumentativ an einem Zitat abarbeiten, das so etabliert ist wie eines der zehn Gebote der modernen Kunst, oder es wichtigtuerisch updaten. Mach ich eben das was mein verehrter, hoch geschätzter Paul Klee nicht so gut finden würde (wobei ich mir da gar nicht so sicher bin). Ich muss ihn ja nicht zum Kunstpapst verkleinern. Denn der hatte viel Humor und gehörte gewiss nicht zu den fanatischen Dogmatikern, ob in abstrakter oder naturalistischer Uniform. 

Lieber komme ich nochmal auf die Zeit zurück. Denn durch das Malen verlangsame ich meine Deutungshektik. Ich gehe in den Langeweilemodus. Betrachte was da vor mir liegt. Mir gegenüber gegenwärtig ist. Warte auf die langsame Zeit. Sie kommt etwas atemlos angehinkt. Sie jammert: „Die meisten Leute sehen mich heute  nur noch als Rakete, nicht mehr als Bewahrerin, als Sammlerin.“

Die Zeit ist nämlich in so einer Quitte gesammelt. Sie ist Frucht geworden. Nahrhafte schöne Frucht. Sonne und Erde haben einen Sommer lang geduldig daran gearbeitet. Sie ist Energiespeicher. Vitamin-Batterie. 

Und das ist es auch was der Zeit gemäß ist: dass sie Frucht wird, nicht nur dass sie davonläuft, oder nicht mehr hinterherkommt. 

Wenn die Zeit reif ist dann hat sie ihr Ziel erreicht und wird Tor zum Zeitlosen. 

Dann öffnet sie ihre Speicher, und strömt in ihrer gold-gelb-fruchtigen Fülle herein und gießt ihre Reichtum aus. Sie wird köstliche Nahrung – im Augenblick.  Das male ich dann.